Der Weg des Rezepts - Chapter 1

depressing routine – 1813

Sein ganzer Körper atmete auf, als er den Fuß über die Torschwelle Newgates setzte. Er hielt kurz inne und nahm einen weiteren tiefen Atemzug. So hoffte er, nach seiner Schicht, den Muff, die Schreie und die Grausamkeit dieses Gefängnisses abschütteln zu können. Für einen kurzen Moment fühlte er, wie die Müdigkeit von ihm Besitz ergriff. Er schüttelt sie ab und trat in die Dunkelheit Londons. Wirklich los ließ Newgate ihn nie. Schon nach wenigen Metern entlang der Fleet Street dachte er erneut an die Insassinnen und daran, dass die meisten von ihnen wahrscheinlich ihr restliches Leben in diesem steinernen Grab verbringen würden.

»Wie passend,« dachte er, »dass diese Miststücke eh schon halb tot sind« und trat nach einer Maus, die gerade dabei war, sich durch den Dreck Londons zu wühlen. Die kalten Mauern Newgates hinter sich gelassen und in seiner winzigen Wohnung angekommen, erdrückte ihn die Trostlosigkeit seines eigenen Lebens. Ein zusätzliches Scheit Holz im Ofen änderte daran rein gar nichts. Schwermütig dachte er an seine Zeit in der Navy und die Freiheit auf hoher See. Es war kaum mehr, als eine Erinnerung, die immer weiter verblasste. Zurück blieb Leere, die sich in ihm ausbreitete wie eine Krankheit, gegen die es lediglich eine Arznei gab: Gin.

Historische Karte mit Laufweg des Wärters 21/07 in London
1
Princes STRT No. 46: Einsamkeit – Sobald er nach einer langen Nacht in Newgate die Tür zu seiner Wohnung aufschloss, fühlte er sich endlich sicher. Gleichzeitig spürte er wie die Leere ohne Ehefrau und Kinder in sein Leben zurückkehrte.
2
Lincoln’s Inn Fields: Ruhe – Vor einer langen Schicht genügte manchmal schon ein kurzer Spaziergang zwischen den alten Eiben auf dem Lincoln´s Inn Fields, um Energie für die grausame Welt hinter den Mauern von Newgate zu sammeln.
3
Newgate Prison: Streben – Hinter den Mauern, des wohl tristesten Ort Londons schien nichts weiter zu warten, als der Tot. Für ihn jedoch, bargen sie die letzte Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg.
4
Covent Garden: Vergnügen – Im „Bucket of Blood“ konnte er nicht nur ein bis vier Glas Gin genießen, sondern sich einfach mal mit Gleichgesinnten bei einem blutigen Faustkampf und johlender Menge amüsieren.
5
St Martins Lane No. 12: Glück – Egal ob Hahnenkampf, Pferde- oder Hunderennen bei Gilberts dem Buchmacher fand er immer die passende Wette. Jedoch wusste er genau, wann er seinen Einsatz lieber aussetzen sollte um nicht in der Themse zu landen.
6
Clare Market: Vergessen – Für dreckige Hemden betrieb Mrs Ts’ao einen Waschsalon. Setzte sich der Schmutz Londons jedoch im Kopf fest, half Mrs Ts’ao mit ihrer Opiumhöhle bei der Reinwaschung des Geistes.
7
St Patrick´s Church: Vergebung – Die Beziehung zu Pater Cillian kam wohl am ehesten an Freundschaft heran. Bei der wöchentlichen Beichte konnte er alle Laster Londons fallen lassen. Egal ob Glücksspiel, Opium oder ein Geheimnis es blieb bei Cillian und Gott. Oder?
Der Weg des Rezepts - Chapter 2

Cillians Pilgrimage

Völlig fassungslos trat Pater Cillian aus dem Beichtstuhl. XXXXXX XXXXXWärter 21/07 war bereits wieder hastig in den Schatten der Stadt verschwunden. Doch was Cillian gerade von ihm gehört hatte, war so irrsinnig, dass er es nicht glauben konnte wollte. Schnell schlug er das Kreuzzeichen vor seiner Brust. So aufgewühlt und angespannt hatte Cillian seinen Freund noch nie erlebt. Cillian hatte nicht einmal die Hälfte der Geschichte verstanden, die XXXXXX XXXXXWärter 21/07 ihm gerade erzählt hatte. Er wusste bereits von Rose. Doch ein Gin? Hergestellt von den Insassinnen von Newgate!? Hinzu kamen die angeblichen Intrigen und düsteren Machenschaften, die sein Freund aufgedeckt haben wollte. Und all das passierte hier, mitten in London, unweit seiner Kirche! Cillian konnte es noch immer nicht begreifen. Sein Blick fiel auf ein Bündel Papier, das auf der Bank lag, auf der sein Freund zuvor gekniet hatte. Als er es aufhob, erkannte er die Aufzeichnungen, von denen sein Freund gesprochen hatte und steckte sie eilig unter seine Kutte.

Auch Tage danach, ließ Cillian die letzte Begegnung mit XXXXXX XXXXXWärter 21/07 nicht los. Er musste ihm seine Aufzeichnungen unbedingt wiedergeben, bevor er aufbrach, um auf einer längeren Pilgerreise, den Spuren eines irischen Heiligen zu folgen. In Gedanken versunken, lief er gerade über den Hof der Kirche, als ihn ein Bote mit einem versiegelten Brief erreichte. Er kam aus Newgate und trug neben seinem Namen, das offizielle Siegel des Gefängnisses. Noch im Hof riss er eilig den Brief auf und las die wenigen Zeilen:

Postsiegel der Gefängnisdirektion aus Newgate, 09. Oktober 1815

London, 09. März 1815

Als einzige Kontaktperson des Herrn XXXXXXX mit der Wärternummer 21/07, müssen wir Ihnen hiermit leider mitteilen, dass dieser am Freitag, den 03. März 1815, erhängt im Keller der Vollzugsanstalt aufgefunden wurde. Ermittlungen zu den Umständen seines Todes wurden eingeleitet.

Gezeichnet,
Gefängnisdirektion Newgate

Ungläubig starrte Cillian auf den Zettel in seinen Händen. Wärter 21/07 war tot und er hatte an seiner Geschichte gezweifelt! Hätte er ihm nur besser zugehört, ihn aufgesucht nachdem dieser das letzte Mal bei ihm gewesen war. Hätte er nur versucht, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten! Wäre sein Freund dann noch am Leben? Er nahm die Aufzeichnungen zur Hand und las sie mit jener Sorgfalt, die er von Anbeginn hätte aufbringen sollen. Dieses Mal Zeile für Zeile.

Wie konnte er nur so unglaublich dämlich gewesen sein, dies nicht viel eher getan zu haben? Voller Schuldgefühle fasste er einen Entschluss: Er musste London schnellstmöglich verlassen, um auf seiner Reise für die Fehler, die er begangen hatte zu büßen. Rascher als geplant, packte er alles Notwendige zusammen, legte die Aufzeichnungen seines Freundes zwischen die Seiten der heiligen Schrift und machte sich auf den Weg. Sein Ziel: den Spuren des heiligen Kilian bis ins Bistum Würzburg zu folgen.

Gespannt, wie es weitergeht?
Akteneinsicht