Ich kann es einfach nicht verstehen – waren die letzten Monate mit Rose lediglich ein Traum? Es hat sich seit der Nacht in der XXXXXX XXXXXXXgroßen Galerie einfach alles verändert. Anfangs war es nur ihre Akte, mit der ich mehr über sie herausfinden wollte. Dann ein Besuch an ihrem Krankenbett auf der Krankenstation. Das Risiko, das ich einging, war hoch, da derartige Kontakte zu Insassinnen nicht toleriert werden. Doch der Drang zu erfahren, was ihr zugestoßen war und was es mit dem Gin, den sie bei sich trug, auf sich hatte, war größer. Scheiß doch auf diesen verdammten Haufen von Heuchlern und ihre Regeln. Kein näherer Kontakt zu den Insassinnen, dass ich nicht lache! Als ob die Zuchthausleitung nicht wüsste, dass die meisten Wärter ihre Machtposition gegenüber den Frauen gnadenlos ausnutzen. Aber dieser intrigante Kreis hält dichter, als die Pechschicht zwischen so manchen Schiffsplanken. Doch Gnade dem, der aus dieser korrupten Reihe tanzt. Elende Bande!

Naja, solange ich bei meiner Arbeit geblieben bin, hat es bisher noch niemanden interessiert, was ich treibe. Eigentlich ist es dasselbe wie früher – keiner will mehr Kontakt als nötig mit einem vernarbten Außenseiter wie mir. Soll mir recht sein! So kann ich mich aus ihrem scheußlichen Treiben raushalten und die Besuche bei Rose fallen keinem auf.

Rose! Dass ich sie vor dem Verbluten gerettet habe, war wohl das Einzige, was sie dazu brachte überhaupt mit mir zu reden. Wirklich verraten was passiert war, hat sie dennoch nicht. Wenn ich ehrlich bin, war mir das irgendwann auch egal. Ich genoss es einfach, mich hinter diesen Mauern mit einem Menschen zu unterhalten, der nicht völlig abgestumpft oder absolut irre war. Während ihrer Zeit auf der Krankenstation ließen sich die wenigen Treffen mit Rose relativ einfach arrangieren. Hier begegnete mir lediglich dieser schmierige Arzt – Franz Sylvius. Den schien es jedoch mehr zu interessieren, dass ich mir die Geschichte seines deutschen Großvaters, Franciscus de la Boe und dessen Wunderheilmittel namens Genever anhöre. Fast unmöglich wurde der Kontakt zu Rose hingegen, als sie wieder zurück in ihre Zelle verlegt wurde. Wir konnten lediglich ein paar Worte wechseln, wenn ich sie von ihrer Zelle zum Küchendienst brachte. Hierzu muss ich jedoch erst einmal für den Geleitdienst eingeteilt werden, bei dem ich die Insassinnen zu ihrem Strafdienst bringe.

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Zudem war es gefährlich. Zu oft nach den Schichten des Geleitdienstes zu fragen oder sich zu lange Zeit für den Rundgang zwischen Zelle und Küchentrakt zu lassen – das alles erweckte Misstrauen. Obendrein warf es Fragen auf, wenn ich mich länger mit ihr unterhielt oder einfach nur zu eng neben ihr herlief. Doch jeder noch so kurze Augenblick mit ihr war es wert, und ließ mich die trüben Tage und Wochen bei der Arbeit in diesem elendigen Loch überleben. Hatte ich Rose, brauchte ich Mrs Ts’ao und ihr Opium nicht mehr.

Bis zum heutigen Abend! Der letzte Geleitdienst war schon über drei Wochen her und Rose bekam ich nur ein einziges Mal flüchtig auf Wachrundgang in ihrer Zelle zu Gesicht. Ich konnte nicht anders, ich musste sie sehen und beschloss, sie zu späterer Stunde unter einem Vorwand in der Küche aufzusuchen. Als ich dort ankam, schlief der XXXXXXXXXXX XXXXXXwachhabende Wärter vor der Tür und ließ sich lediglich durch einen kräftigen Tritt wachbekommen. Glücklicherweise glaubte der Idiot den Unsinn, dass ich Brot für die Krankenstation besorgen müsste. Ich wurde das mulmige Gefühl nicht los, einen Schritt zu weit zu gehen, als ich in die Küche trat, um Rose bei der Arbeit zu treffen.

Ein leichter aber dennoch intensiver Duft stieg mir in die Nase. Ich konnte zwar nicht zuordnen woher, aber er kam mir bekannt vor. Wie konnte ich nur so dämlich sein? Es war derselbe Geruch, den ich in der Nase hatte, als ich an der XXXXXXXXXXXGlasflasche roch, die Rose mit sich trug. Doch blieb mir vorhin nicht genügend Zeit, die Quelle des Duftes ausfindig zu machen, da plötzlich eine ältere Insassin vor mir stand. Ich erkannte sie! Laut ihrer Akte ist sie seit über 20 Jahren in Newgate inhaftiert und leitet hier schon lange die Küche. Ihr bürgerlicher Name: Matilda. Bekannt war sie jedoch nur als die Wirtin von Walworth. Eigentlich zählte sie eher zu den ruhigeren Insassinnen. Als sie mich fragte, was ich wollte, war ein missbilligender Unterton in ihrer Stimme jedoch deutlich herauszuhören.

In diesem Moment erblickte ich Rose und überging diese Dreistigkeit. Ich war so ein Idiot! Mein Gesichtsausdruck schien sich erkennbar zu verändern und mein Blick blieb anscheinend wenige Sekunden zu lange auf Rose haften. Zumindest lange genug, sodass auch die Wirtin sich nach ihr umsah. Rose zuckte daraufhin zusammen, wendete ihren Blick ab und schrubbte XXXXXXhastig weiter Töpfe. Schnell blaffte ich die Wirtin an, mir einen Laib Brot zu geben. Selbst jetzt klingt diese verdammte Anweisung in meinen Ohren noch unsicherer, als sie sollte. Bevor ich mich noch dümmer verhalten konnte, nahm ich das Brot, ging die wenigen Schritte zur Tür und klopfte harsch dagegen.

Meine Schicht endete und ich verließ Newgate mit einem erdrückenden Gefühl. Meine Gedanken schwirrten um Rose, ihren XXXXXXXXXXXXXverängstigten Gesichtsausdruck, nachdem die Wirtin sie ansah und den Wacholderduft in der Küche. Wenn es das nur für diesen einen Abend gewesen wäre! Aber ich brauchte erstmal was Starkes, um meine Gedanken zu ordnen. Also ging ich gleich rüber ins Bucket of Blood und trank zwei Gläser Gin. Ich kippte gerade den letzten Schluck runter, als sich neben mir ein Mann niederließ, den ich hier zuvor noch nie gesehen hatte: Franz Sylvius. Was der in diesem Pub zu suchen hatte? Keine Ahnung! Aber er kannte meinen Namen, sprach mich an und fragte mit süffisantem Grinsen, wie es meiner kleinen Freundin von der Krankenstation ginge.

Meine Antwort fiel karg aus. Ich faselte etwas von »ich müsste gehen« und verabschiedete mich umgehend. Verdammt, wieso kam der Kerl an diesem Abend in diesen scheiß Pub? Was wusste er über Rose und wie hängen diese ganzen Ereignisse von heute mit der Nacht in der großen Galerie zusammen?

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